Ausgabe:

2024/06-E

1. Reiserücktrittskostenversicherung – von harmloser Verletzung zu Entwicklung einer schweren Krankheit

Reiserücktrittsversicherungen für den Krankheitsfall sichern regelmäßig nur solche Erkrankungen ab, die bei Vertragsschluss nicht bereits bekannt oder zu erwarten waren.

Zur Leistungspflicht bei einem Reiserücktritt hatte das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) über den nachfolgenden Sachverhalt zu entscheiden: Ein Ehemann hatte für sich, seine Ehefrau und seinen Sohn im November 2019 eine Reise nach Kuba für Februar 2020 gebucht. Nur wenige Tage später stürzte die Ehefrau und zog sich u.a. eine Schürfwunde am Knöchel zu. Im Anschluss bestellte der Mann für seine Familie eine „Jahres-Reise-Karte“, die auch eine Reiserücktrittskostenversicherung beinhaltete. In dieser war Versicherungsschutz für Tod, schweren Unfall und unerwartet schwere Erkrankung vereinbart. Für den Fall einer unerwarteten Verschlechterung einer schon bestehenden Krankheit wurde in den Klauseln ein Versicherungsschutz ausgeschlossen, sofern in den letzten sechs Monaten vor Vertragsschluss eine Behandlung wegen der Erkrankung erfolgte.

Im Januar 2020 musste sich die Frau einer stationär durchgeführten Hauttransplantation unterziehen, nachdem die Wunde am Knöchel sich im Dezember 2019 infiziert und sich infolgedessen ein Geschwür (Ulkus) entwickelt hatte. Der Mann stornierte sodann die Reise und machte bei der Versicherung die ihm berechneten Stornokosten geltend. Die Versicherung verweigerte die Übernahme der Stornokosten.

Die Richter des OLG entschieden zugunsten des Ehepaares. So hatte die Ehefrau keine Kenntnis vom Vorliegen einer Erkrankung bei Vertragsschluss. Bei einem Ulkus, d.h. einem – erst durch einen Infekt ausgelösten – Substanzdefekt der Haut, handelt es sich objektiv um ein ganz anderes Erkrankungsbild als bei einer „bloßen“ sturzbedingten Schürfwunde. Dass der Ulkus ohne diese Wunde nicht entstanden wäre, ändert nichts daran, dass es zu seiner Entstehung erst einer Infizierung der Wunde bedurfte. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses hätten noch keine Anzeichen für eine solche Infizierung vorgelegen.

2. Hausratversicherung – Auslegung einer Versicherungsklausel zu Ersatzunterkunftskosten

In einem vom Oberlandesgericht Saarbrücken (OLG) entschiedenen Fall hatte ein Mieter bei einer Versicherung eine sog. „Sorglos-Hausratversicherung“ abgeschlossen. Laut Versicherungsbedingungen werden die infolge eines Versicherungsfalls notwendigen Kosten für Hotel- oder ähnliche Unterbringung ohne Nebenkosten (z.B. Frühstück, Telefon) übernommen, wenn die ansonsten ständig bewohnte Wohnung unbewohnbar wurde und dem Versicherungsnehmer auch die Beschränkung auf einen bewohnbaren Teil nicht zumutbar ist.

Die OLG-Richter kamen zu der Entscheidung, dass die Versicherungsbedingungen nicht so interpretiert werden können, dass sie auch Kosten abdecken, die durch das Anmieten einer Ersatzunterkunft nach einem versicherten Schadensfall (hier: Leitungswasserschaden) entstehen, ohne Rücksicht darauf, ob diese Kosten wirklich notwendig waren. Wird demnach eine Ersatzunterkunft genutzt, obwohl die Wohnung nach dem Versicherungsfall noch bewohnbar oder die Beschränkung auf den bewohnbaren Teil zumutbar ist, erfolgt i.d.R. keine Kostenerstattung.

3. Werkstattrisiko gilt auch für Kosten eines Sachverständigen

Im Januar 2024 hatte der Bundesgerichtshof (BGH) klargestellt, dass das Werkstattrisiko nicht nur für solche Rechnungspositionen greift, die ohne Schuld des Geschädigten, etwa wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Ansätze von Material oder Arbeitszeit, überhöht sind. Es können auch Positionen auf der Rechnung erstattungsfähig sein, die sich auf – für den Geschädigten nicht erkennbar – tatsächlich nicht durchgeführte einzelne Reparaturschritte und -maßnahmen beziehen.

Nun entschieden die BGH-Richter, dass diese Grundsätze zum Werkstattrisiko auch auf überhöhte Kostenansätze eines Sachverständigen übertragbar sind, den der Geschädigte mit der Begutachtung seines Fahrzeugs zur Ermittlung des unfallbedingten Schadens beauftragt hat. Denn den Erkenntnis- und Einwirkungsmöglichkeiten des Geschädigten sind nicht nur gegenüber der Reparaturwerkstatt, sondern auch gegenüber dem Kfz-Sachverständigen Grenzen gesetzt, vor allem sobald er den Gutachtenauftrag erteilt und das Fahrzeug in die Hände des Gutachters gegeben hat.

4. Anforderungen an die Abrechnung von Arbeiten im Stundenlohn

Verpflichtet sich der Besteller, die Vertragsleistungen des Unternehmers nach Aufwand mit verabredeten Stundensätzen zu vergüten, so ergibt sich die Vergütung aus dem Produkt des jeweiligen Stundensatzes und der Zahl der geleisteten Stunden. Zur Begründung seines Vergütungsanspruchs im Prozess muss der Unternehmer im Ausgangspunkt also nur darlegen und ggf. beweisen, wie viele Stunden für die Erbringung der Vertragsleistungen mit welchen Stundensätzen angefallen sind.

Die schlüssige Abrechnung eines Stundenlohnvertrages setzt grundsätzlich keine Differenzierung in der Art voraus, dass die abgerechneten Arbeitsstunden einzelnen Tätigkeiten zugeordnet werden. Solch eine Zuordnung mag sinnvoll sein. Zur nachprüfbaren Darlegung des vergütungspflichtigen Zeitaufwands ist sie nicht erforderlich.

Der Besteller muss also lediglich nachvollziehen können, welche konkreten Leistungen der Unternehmer erbracht hat. In der Regel genügt es, wenn sich der Leistungsumfang, der einem Stundenlohn unterliegt, aus dem Vertrag selbst oder nach Erbringung der Leistung auf andere Weise klar ergibt.

5. Rückzahlung von Fortbildungskosten

In einem vor dem Bundesarbeitsgericht verhandelten Fall war eine Frau in einem Steuerbüro vom 1.4.2014 bis zum 30.6.2020 als Buchhalterin tätig.

Ende 2017 schlossen sie und ihr Arbeitgeber einen Fortbildungsvertrag mit u.a. folgendem Inhalt: Die Arbeitnehmerin nimmt in der Zeit vom 1.8.2017 bis 31.3.2019 an Fortbildungsmaßnahmen (Lehrgang zur Vorbereitung auf die Steuerberaterprüfung 2018/2019) teil, die auf den Erwerb des Berufsexamens Steuerberater vorbereiten. Die Förderung soll insgesamt bis zu 10.000 € betragen. Das in Anspruch genommene Förderbudget sollte u.a. zurückzuzahlen sein, wenn die Angestellte das Examen wiederholt nicht ablegt. Sie trat weder 2018 noch 2019 und 2020 zum Examen an und kündigte mit Schreiben vom 14.5.2020 das Arbeitsverhältnis zum 30.6.2020. Der Arbeitgeber verlangte die Rückzahlung der ausgelegten Fortbildungskosten.

Einzelvertragliche Vereinbarungen, nach denen sich ein Arbeitnehmer an den Kosten einer vom Arbeitgeber finanzierten Ausbildung zu beteiligen hat, soweit er die Fortbildung nicht beendet, sind grundsätzlich zulässig. Sie benachteiligen den Arbeitnehmer nicht generell unangemessen. Es ist jedoch nicht zulässig, die Rückzahlungspflicht schlechthin an das wiederholte Nichtablegen der angestrebten Prüfung zu knüpfen, ohne die Gründe dafür zu betrachten. Es müssen jedenfalls praktisch relevante Fallkonstellationen, in denen die Gründe für die Nichtablegung der Prüfung nicht in der Verantwortungssphäre des Arbeitnehmers liegen, von der Rückzahlungspflicht ausgenommen werden.

Die Rückzahlungspflicht sollte unabhängig von den Gründen, aus denen der Arbeitnehmer die Eigenkündigung ausspricht, eintreten. Die Vereinbarung sah damit auch eine Rückzahlung in Fällen vor, in denen der Arbeitnehmer das Examen deshalb wiederholt nicht ablegt, weil ihm die Fortführung des Arbeitsverhältnisses aufgrund eines arbeitgeberseitigen Fehlverhaltens nicht mehr zumutbar ist und er es deshalb beendet. Es ist unangemessen, dem Arbeitnehmer auch für diesen Fall eine Rückzahlungsverpflichtung aufzuerlegen.

Die BAG-Richter kamen zu der Entscheidung, dass der Arbeitgeber keinen Anspruch auf Rückzahlung der ausgelegten Fortbildungskosten hatte. Sie benachteiligte den Arbeitnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen und war damit unwirksam.

6. Besserstellung von Leiharbeitern gegenüber eigenen Arbeitnehmern

Ein Mitarbeiter wird nicht automatisch zu einem Leiharbeitnehmer, nur weil seine direkten Vorgesetzten und die meisten Mitarbeiter im Betrieb nicht direkt bei dem Arbeitgeber angestellt, sondern von einem anderen (zum Konzern gehörenden) Unternehmen als Leiharbeitnehmer beschäftigt werden.

Der Gleichstellungsgrundsatz aus dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz schützt Leiharbeitnehmer davor, schlechter gestellt zu werden als vergleichbare Stammarbeitnehmer. Er gewährt jedoch keinen Schutz für Stammarbeitnehmer. Denn es ergibt sich daraus kein Anspruch auf das höhere Entgelt eines besser bezahlten Leiharbeitnehmers.

7. Sozialversicherungspflicht – Vertrag mit Ein-Personen-Kapitalgesellschaft

Das Bundessozialgericht (BSG) hatte in drei Verfahren, in denen die natürlichen Personen alleinige Gesellschafter und Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften (Unternehmergesellschaft <UG> und Gesellschaft mit beschränkter Haftung <GmbH>) waren. Mit diesen Kapitalgesellschaften schlossen Dritte Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen. In zwei Verfahren ging es um Pflegedienstleistungen im stationären Bereich eines Krankenhauses, im dritten Fall um eine beratende Tätigkeit. Tatsächlich erbracht wurden die Tätigkeiten ausschließlich von den natürlichen Personen. Die Deutsche Rentenversicherung Bund stellte in allen Fällen Versicherungspflicht aufgrund von Beschäftigung fest.

In allen drei Verfahren stellte das BSG klar, dass eine natürliche Person sozialversicherungspflichtig beschäftigt sein kann, auch wenn die Verträge ausschließlich zwischen dem Auftraggeber und einer Kapitalgesellschaft bestehen, in der diese Person alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter ist. Entscheidend ist, ob die Tätigkeit dieser Person insgesamt als abhängige Beschäftigung eingestuft wird. Das Vorliegen eines solchen Arbeitsverhältnisses hängt daher nicht allein von der vertraglichen Gestaltung ab, sondern davon, wie die Arbeit tatsächlich ausgeübt wird.

8. Besichtigungsrecht des Vermieters bei Mieterhöhung

Den Mieter trifft eine vertragliche Nebenpflicht dem Vermieter – nach entsprechender Vorankündigung – den Zutritt zu seiner Wohnung zu gewähren, wenn es hierfür einen konkreten sachlichen Grund gibt. Bei der Prüfung, ob ein solcher vorliegt, ist einerseits dem Eigentumsrecht des Vermieters, andererseits auch dem Recht des Mieters, in den Mieträumen „in Ruhe gelassen“ zu werden und seinem geschützten Recht am Besitz der Mietwohnung Rechnung zu tragen.

Das Interesse des Vermieters, die Mietwohnung zwecks Vorbereitung einer Vergleichsmietenerhöhung durch einen mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragten öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen zu besichtigen, stellt einen sachlichen Grund dar, denn die mit dieser Besichtigung einhergehenden Beeinträchtigungen sind lediglich geringfügig. Der Umstand, dass der Vermieter zur Wahrung der formellen Anforderungen eines Mieterhöhungsverlangens nicht zwingend darauf angewiesen ist, dass der mit der Erstellung eines Miethöhegutachtens beauftragte Sachverständige die Mieträumlichkeiten zuvor besichtigt hat, ändert nichts daran.

So gehört zu den Kriterien der ortsüblichen Vergleichsmiete u.a. die Beschaffenheit einer Wohnung und damit auch deren Erhaltungszustand, welcher grundsätzlich nur im Rahmen einer Besichtigung auch des Inneren der Wohnräume festgestellt werden kann.

9. Keine fristlose Kündigung bei zerrüttetem Mietverhältnis

Jede Vertragspartei kann das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

Ferner liegt ein wichtiger Grund vor, wenn eine Vertragspartei den Hausfrieden nachhaltig stört. Eine nachhaltige Störung des Hausfriedens liegt vor, wenn eine Mietpartei die Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme bei der Nutzung der Mietsache erheblich verletzt. Das bedeutet, dass sie sich so verhalten muss, dass andere Mieter und ggf. der im Haus wohnende Vermieter über das unvermeidliche Maß hinaus gestört werden.

So entschieden die Richter des Bundesgerichtshofs, dass im Wohnraummietrecht eine Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen Mieter und Vermieter allein i.d.R. nicht ausreicht, um einer der beiden Parteien das Recht zu geben, den Mietvertrag außerordentlich fristlos zu kündigen. Eine fristlose Kündigung erfordert normalerweise, dass die Vertrauensbasis, auf der der Vertrag aufbaut, nicht nur gestört ist, sondern dass diese Störung durch ein Fehlverhalten oder Pflichtverletzungen des anderen Vertragspartners verursacht wurde.

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